Moral in Thailand - THAIFRAU GUIDE

Von Günther Ruffert, Thailand

Hier müssen zunächst einmal die Klischeevorstellungen zurechtgerückt werden, die von unseren auf Crime und Sex ausgerichteten Medien den deutschen Lesern und Zuschauern seit Jahren immer wieder aufgetischt werden. Schenkt man diesen Stories Glauben, so wäre Thailand ein einziges großes Bordell, die thailändischen Frauen fast alle mehr oder weniger käuflich, und nur die bösen Sextouristen wären am moralischen Niedergang dieses Naturvolkes schuld. Das ist eine irrsinnige übertreibung und etwa so, als wenn ein Ausländer alle deutschen Frauen nach den Mädchen beurteilen würde, die in Hamburgs St. Pauli oder der Frankfurter Bahnhofsstraße ihr Geld verdienen.

Wie kommen nun überhaupt solche Berichte zustande? Ich habe selbst einmal erlebt, wie ausschließlich auf Sexgeschichten erpichte Reporter einer deutschen Illustrierten in die einschlägigen Nachtclubs kamen, die es in Bangkok natürlich genauso wie in Hamburg und Frankfurt gibt, und durch entsprechende Extrazahlungen an Geschäftsführer und Personal für besonders saftige Bilder sorgten. Solche "Journalisten" sind nur zu gerne bereit, Horrorberichte über das Sextreiben in Thailand zu schreiben, wenn sie eine mehrtägige oder -wöchige Urlaubsreise, ein gutes Spesengeld und außerdem noch Honorar dafür bekommen. Der Schmuddelsender RTL2 bringt dann nur zu gerne solche "Reportagen", die im Grunde nichts anderes als Pornografie sind.

Ein Mädchen, das in einer Bar anschafft, findet das sicherlich nicht besonders erstrebenswert und würde lieber ihr Geld anders verdienen. Sie findet ihr Tun aber vor allem deswegen nicht moralisch verwerflich, weil sie mit dem Geld ja ihre Kinder versorgt oder ihre Eltern unterhält. Hingegen würde sie es für unmoralisch halten, wenn sie aus purer Lust mit einem Mann, oder gar abwechselnd mit verschiedenen Partnern ins Bett ginge. Das wiederum nehmen die Leute, die abfällig oder mit moralisch erhobenen Zeigefinger über diese Mädchen urteilen oder schreiben, für sich als aufgeklärte Europäer als ganz selbstverständlich in Anspruch.

Wenn man solche Stories liest oder eine Diskussion zum Thema Sextourismus im Fernsehen sieht, dann fällt einem auf, daß die Frage mit einer bornierten überheblichkeit ausschließlich vom Standpunkt der deutschen Moralisten und Feministinnen angegangen wird, ohne jede Kenntnis der ganz anderen Normen und Wertvorstellungen, die für die betroffenen Menschen in Ländern der Dritten Welt gelten. Man kommt der Frage vielleicht näher, wenn man nicht nur den materiellen sondern auch den kulturellen Hintergrund beleuchtet. Der materielle Hintergrund ist klar: die allgemeine Armut auf dem Dorf, und die Notwendigkeit Bankzinsen zu zahlen, und dringend benötigte Geräte für den Reisanbau anzuschaffen. Der kulturelle Hintergrund ist für den Farang, der seine europäischen Moralvorstellungen auf Thailand überträgt, weniger zu verstehen. Die Einstellung aller Farangs zum Sex, vor allem zum käuflichen Sex, ist durch zwei Jahrtausende Kirchengeschichte geprägt. Keiner kann sich ganz davon frei machen, auch wenn er schon lange aus der Kirche ausgetreten ist; das steckt sozusagen in den Genen. Die christlichen Kirchen, und noch heute die katholische Kirche, hielten Geschlechtsverkehr selbst zwischen Eheleuten immer dann für Sünde, wenn er nicht ausschließlich zum Zwecke der Nachwuchserzeugung erfolgte. Sex nur zur Befriedigung natürlicherer menschlicher Bedürfnisse wurde grundsätzlich als verwerflich angesehen.

Die anderen großen Religionen haben eine andere Einstellung zum Sex. Die muslimischen Kämpfer der Hisbollah oder Hamas gehen noch heute freudig für Allah in den Tod, weil ihnen ihre Mullahs lehren, daß nach ihrem Opfertod im Paradies die Houris mit offenen Armen (und wie sie wohl als selbstverständlich annehmen auch mit offenen Schenkeln) auf sie warten. Wer das Wat Phra Kheo in Bangkok besucht, welches das thailändische Nationalheiligtum, den Emerald-Buddha beherbergt, der wird, wenn er an der das Kloster umschließenden Umfassungsmauer entlang geht, dort mehr blanke, runde Busen sehen, als jemals im Playboy erschienen sind.

Hinzu kommt, das Thais ganz allgemein einen wesentlich pragmatischeren Charakter haben als Farangs. Die sich daraus ergebende Anpassung der Lehren Lord Buddhas an die Erfordernisse des täglichen Lebens kommen dem Farang oft arg wunderlich vor. Wenn er z.B. sieht, wie die "käuflichen Mädchen" bevor sie ihren Dienst an der Bar antreten, eine Räucherkerze vor dem Buddha Bild in der Ecke des Lokals anzünden, und mit gefalteten Händen ein kurzes Gebet verrichten, dann kann der Farang nur mit dem Kopf schütteln. Wenn die Barmädchen einmal in der Woche ins Kloster gehen, um dort zu opfern, werden die Jünger Buddhas im gelben Gewand die Opfer der Mädchen gerne annehmen, und sie mit geweihtem Wasser besprengen, keiner wird aber den Versuch machen, die Mädchen zu ermahnen von ihrem unmoralischen Tun abzulassen.

Wie sieht es nun aber in Wirklichkeit aus mit der Moral der thailändischen Weiblichkeit? Gemessen an unseren deutschen moralischen Standards sind die Thais eher prüde. Mit Ausnahme von Bangkok und den Touristenzentren wie Pattaya und Phuket, wo die schlechten Beispiele des Westens im Fernsehen und in Natura durch die Touristen natürlich auch langsam die hergebrachten Sitten beeinflussen, wird man z.B. niemals sehen, daß sich ein junges Thai-Pärchen in der öffentlichkeit umarmt oder gar küßt. Wenn die Farang-Touristinnen am Strand mit bloßem Busen herumliegen, sehen die Thai-Männer natürlich mal gerne hin. Ich habe einige Male erlebt, daß am Sonntag die jungen Männer aus meiner Nachbarschaft eine gemeinsame Tour zum hundert Kilometer entfernten Pattaya organisierten, mit dem erklärten Ziel, dieses aufregende Schauspiel zu besichtigen. Keine Thai, nicht einmal ein Mädchen das in der Bar anschafft, würde sich so vor fremden Leuten entblößen. In entsprechenden Nachtclubs, vor Farang-Gästen, ist es etwas anderes. Da wird man schließlich dafür bezahlt. Dahinter steckt dann der typische Thai-Pragmatismus, den man auch bei Betrachtung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse immer wieder antrifft. Das Verkaufen des eigenen Körpers hat im Grunde nichts mit Gefühlen oder moralischen Selbstrespekt zu tun, und ist so lange nichts schlecht, solange es Geld und damit finanzielle Kompensation für einen eventuellen Gesichtsverlust bringt. Ein Mädchen, das durch Verkauf des eigenen Körpers für ihre Eltern und Familie sorgt, ist ein "gutes Mädchen". Hat sie genug Geld angesammelt, kann sie in ihr Dorf zurückkehren und dort als angesehenes Mitglied der Dorfgemeinschaft leben.

Diese Denkweise mag dem Europäer scheinheilig vorkommen, dem es schwerfällt zu akzeptieren, daß seine mitgebrachten Moralvorstellungen sich nicht immer mit denen der Thais decken. Sie kann aber vielleicht das Phänomen erklären, daß die aus einer Gesellschaft mit relativ konservativen moralischen Anschauungen stammenden Mädchen, sich anscheinend ohne die geringsten moralischen Skrupel an den Bars in Bangkok, Pattaya und Phuket den Farang Touristen anbieten.


© 2000, Günther Ruffert

Dieser Beitrag erschien im Original bei www.Thaifrau.org